Die niedere Kunst des geringfügigen Umschreibens

Nach Guttenberg, Saß, Pröfrock und Koch-Mehrin nunmehr also Fall Nummer fünf in Deutschland. Dieser wird seit einigen Stunden auf PlagiPedi dokumentiert. Vieles deutet mittlerweile auf ein hochgradig systemisches Problem hin, auf eine Epidemie.
Was zeigt das erste Handvoll Fundstellen in diesem Fall? Ganz wie gehabt: Ab- und umschreiben (meist kürzen, vereinfachen, sehr selten erweitern) statt selbst schreiben. Gekappte Referenzen, Fakten ohne Quellen. Es erinnert mich immer ein wenig daran, wenn ich beim Korrigieren studentischer Seminararbeiten im Word-Korrekturmodus einen Textbaustein markiere und ins Kommentarfeld hineinschreibe: „Beleg?“ Die ‚Doktorväter‘ haben das nicht, offenbar nie getan. Sie haben ihre Doktoranden einfach so dahin erzählen, das heißt abschreiben lassen. Höchstwahrscheinlich waren ihnen die ganzen Textwüsten selbst viel zu fad. Mit Wissenschaft hat das alles nichts zu tun. Eine Schande. Wir sind in einer Neuauflage der science wars angelangt, wie es aussieht. Diesmal geht es allerdings nicht um Naturwissenschaft versus Postmodernismus (wiewohl „fashionable nonsense“ die Sache ganz gut treffen würde: Elegant trägt sich der Doktortitel herum, der Unsinn ist in den Buchrücken gepresst). Es geht um Wissenschaft versus Nicht- oder Pseudo-Wissenschaft. Das heißt: Es geht um viel mehr.
Wie wichtig die Arbeit der Plag-Wiki-Aktivisten ist, zeigt auch das Statement des (wie immer: emeritierten) Doktorvaters von Koch-Mehrin, der allen Ernstes die „Hoffnung“ noch „nicht aufgegeben“ hat, „dass die Mängel eine gewisse Bagatellschwelle nicht überschreiten“. Sofern er in der Meldung korrekt zitiert wird, offenbart das eine ganz furchtbare Auffassung von Wissenschaft und Redlichkeit, die aber auch gut erklärt, warum so viele Professoren zum Plagiatsproblem über Jahre geschwiegen haben bzw. sich der Spürsinn immer schön in Grenzen gehalten hat. Wohlgemerkt: Der Herr, der so etwas sagt, war Universitätsrektor. Noch einmal: Eine ganz große Schande.

2 Kommentare zu “Die niedere Kunst des geringfügigen Umschreibens

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  1. Gerd Kraemer

    In den seit Promotion von Koch-Mehrin verstrichenen 10 Jahren sind etwa 200.000 Personen in D. promoviert worden. Ein Promille davon sind 200. Bisher sind wir bei 0,025 Promille. Wenn Sie das für eine Epidemie halten ….

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    1. admin

      Dazu kommen zwei weitere Dissertationsplagiate, die ich in Deutschland entdeckt bzw. begutachtet habe; dann jene Fälle, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen (schätzungshalber pro Universität einige in den vergangenen zehn Jahren – vergleichbare Angaben kenne ich nur aus Österreich) und – als mit Sicherheit größte Gruppe – jene, die (noch) unentdeckt sind.
      LG
      sw

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